Gewalt, Geschrei, Ungeziefer, Krankheit und Tod – Erna de Vries berichtete über ihre Erlebnisse im Konzentrationslager

Am 8.10.2014 informierte Erna de Vries 400 Schülerinnen und Schüler der Justus-von-Liebig-Schule über ihr Leben während des Nationalsozialismus.

 

„Du wirst überleben und erzählen, was sie mit uns machten.“ Diesen Auftrag gab Jeanette Korn am 8. November 1943 ihrer Tochter Erna im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zum Abschied mit auf den Weg. Kurz darauf wurde Jeanette Korn in der Gaskammer getötet.
Selbst im Alter von 90 Jahren folgt ihre Tochter noch dieser Aufforderung. Eindringlich schilderte sie ihr Leben zur Zeit des Nationalsozialismus, das von Anfeindungen, Gewalt und Todesangst geprägt war – aber auch von kleinen Zeichen der Menschlichkeit.

 

Erna de Vries, die Tochter eines Protestanten und einer Jüdin, konnte ihre Kindheit in Kaiserslautern unbeschwert genießen. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 begannen dann die Anfeindungen gegen jüdische Bürger. Erna de Vries musste die Schule verlassen und eine jüdische Sonderklasse besuchen, in der sie mit 28 jüdischen Schülern aller Altersklassen gemeinsam unterrichtet wurde. Auch im Alltag war der Antisemitismus deutlich spürbar. „Du Jude“ war damals ein Schimpfwort. Einige Menschen spuckten bei der Begegnung mit Juden vor diesen aus. „Auch vor mir“, berichtete Erna de Vries. „Das war sehr belastend für mich.“

 

Als Erna de Vries gerade 15 Jahre alt war, musste sie miterleben, wie am Tag nach der Reichspogromnacht die Wohnung ihrer Familie zerstört wurde. Mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Vetter flüchtete sie zum Grab des verstorbenen Vaters, kehrte dann aber spät in der Nacht zurück. Dort standen sie vor den Trümmern ihrer Wohnung. Übergangsweise wurden die Drei bei Erna de Vries‘ Onkel in Köln aufgenommen. Später kehrte ihre Mutter nach Kaiserslautern zurück. Erna de Vries blieb in Köln, um eine Ausbildung zur Krankenschwester zu absolvieren. „Eigentlich wollte ich Ärztin werden. Unter diesen Umständen ging dies aber nicht.“

 

Als Erna de Vries 19 Jahre alt war, begannen die Deportationen in Köln und Kaiserslautern. Sie kehrte nach Kaiserslautern zurück, da sie Angst um ihre Mutter hatte. Am 6. Juli 1943 wurde Erna de Vries zusammen mit ihrer Mutter nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Eigentlich sollte nur ihre Mutter deportiert werden, aber Erna bestand darauf, sie zu begleiten. „Damals wusste ich noch nicht, was das heißt“, erzählte sie.

 

Auschwitz bedeutete Gewalt, Geschrei, Ungeziefer, Krankheit und Tod. Unter menschenunwürdigen Bedingungen musste sie arbeiten und leben. Die Identität ging verloren, man war eine Nummer, die einem auf den Arm tätowiert wurde. „Die Zeit in Auschwitz war unvorstellbar. Wir konnten uns nie sicher sein, ob wir am nächsten Tag noch einmal aufwachen würden“, schilderte sie ihre Erlebnisse im Konzentrationslager.

 

Als Erna de Vries aufgrund einer schweren Entzündung am Bein arbeitsunfähig wurde, wurde sie bei einer Selektion in den Todesblock 25 verlegt. Sie stand bereits in der Schlange des Transports, der in die Gaskammer führte. Den Tod vor Augen, war ihr letzter Wunsch, noch einmal die Sonne zu sehen. Dann zog ein SS-Wachmann sie aus der Reihe. “Du hast aber Glück. Du darfst leben“, sagte er. Als sogenannter Mischling ersten Grades wurde sie von Auschwitz in das Lager Ravensbrück verlegt, wo Kriegsmaterial für den Endsieg produziert wurde.

 

Nach Räumung des KZs in Ravensbrück, kurz vor Kriegsende 1945 wurde sie mit den anderen Leidensgenossen im sogenannten Todesmarsch in Richtung Nordwesten getrieben. Am Ende ihrer Kräfte, dachte Erna de Vries das erste Mal ans Aufgeben. Völlig entkräftet und nur durch das Zureden zweier Freundinnen schleppte sie sich weiter. Einige Stunden später wurde ihr Treck von alliierten Soldaten befreit. „Plötzlich waren wir frei!“. Mit diesen Worten beendete Erna de Vries ihren bewegenden Vortrag.

 

Besonders beeindruckt sind die Schülerinnen und Schüler davon, dass Frau de Vries trotz der unendlichen Gräueltaten, die sie erleiden musste, keinen Hass empfindet und menschenfreundlich geblieben ist.

 

Neben all den belastenden Situationen berichtete Frau de Vries, habe sie in dieser Zeit auch Zeichen der Menschlichkeit erlebt. Viele gute Menschen hätten ihr geholfen – auch wenn sie sich selbst dadurch in Gefahr brachten. So warnte ein ehemaliger Angestellter des Familienbetriebes ihrer Eltern Erna de Vries‘ Familie vor den Übergriffen am 10. November 1935. Eine Nachbarin brachte ihrer Familie warmes Essen, als sie nach der Pogromnacht nichts mehr hatten. Andere Nachbarinnen brachten ihr den Koffer hinterher, als sie auf dem Weg zur Deportation war.

 

Erna de Vries hat als Jüdin die unvorstellbaren Verbrechen der Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern Auschwitz und Ravensbrück überlebt. Entsprechend dem Wunsch ihrer Mutter berichtet sie immer wieder von ihren Erlebnissen und Erfahrungen im Konzentrationslager, damit sich diese Gräueltaten nicht wiederholen. Sie betont, dass dies nicht nur ihre Geschichte sei, „sondern die Geschichte von Millionen, die sie nicht mehr erzählen können.“

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